26 Mrz Influenced er noch oder manipuliert er schon
„Was hat Sie, das ich nicht habe?“, frug sich Katja Ebstein Ende der 90er Jahre. Die Jüngeren unter uns werden sich wohl kaum erinnern, jedoch waren Stars wie „die Ebstein“ die Vorgänger der so genannten Influencer der Gegenwart. Durch die mediale Präsenz errangen sie Bekanntheit und Kultstatus bei ihren Fans. Viele versuchten, ihr Idol nachzuahmen, stylten die Frisuren und die Klamotten entsprechend angepasst. Heute mutieren Fans zu Followern, denn schließlich sind wir digital unterwegs. Nicht nur Sänger und Schauspieler beeinflussen das Publikum. Im Zeitalter des Internets haben wir ausreichend Möglichkeit, auf vielfältigen Kommunikationskanälen die Vorlieben und Tagesabläufe unserer Influencer zu verfolgen.
I want to be an Influencer
Was ist eigentlich ein Influencer genau? Wikipedia lehrt uns: „Als Influencer (to influence ‚beeinflussen‘) werden Personen bezeichnet, die aufgrund ihrer starken Präsenz und ihres hohen Ansehens in sozialen Netzwerken als Träger für Werbung und Vermarktung in Frage kommen.“
Ein Influencer besitzt also eine starke Präsenz und hohes Ansehen. Da stellt sich mir die grundsätzliche Frage, warum ist das so? Wieso ist die Gesellschaft großzügig bereit, Menschen hohes Ansehen zu schenken, die sie nur über einen Social Media Kanal kennen, die weder für die Menschheit etwas Bedeutendes geleistet haben oder sich für eine gute Sache oder die Regierung dieser Welt einsetzen? Warum wird diesen Influencern entsprechender Respekt gezollt, nur weil diese über deren Modegeschmack, ihr Reiseverhalten oder über ihre Vorlieben auf dem Speisezettel, Videos, Fotos oder subjektive Kommentare in die Welt hinaus posten?
In einer Welt, die uns angesichts der starken Präsenz des Coronavirus weitestgehend globalen wirtschaftlichen und sozialen Stillstand erleben lässt, gelingt es Influencern trotzdem, ihre Marken und Produkte über wirksame Mundpropaganda an den Mann und die Frau zu bringen. Sie agieren als Meinungsführer und verdienen im Auftrag von Unternehmen, deren Produkte sie hypen, Geld. Was bitte ist daran so außergewöhnlich, außer dass sich ein Sich-selbst-und-Produkte-Vermarkter zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit hochstilisiert?
Was haben sie, das wir nicht haben?
Es verstehe mich bitte niemand falsch! Jedem von uns steht es frei, sein Geld auf seine selbstgewählte Art zu verdienen, mit der er glaubt, seine Talente, sein Wissen, sein Knowhow und, nicht zu vergessen, seine ethischen Moralvorstellungen, bestmöglich einbringen zu können. Jedoch verstehe ich persönlich nicht, dass diese Menschen für diese Art des Geldverdienens zu angesehenen Vorbildern geadelt werden.
Wer denkt in diesem Zusammenhang an unsere Pflegekräfte, die nicht nur zu Zeiten Coronas einen aufreibenden Job für wenig Geld in unserem Sozialsystem für uns alle machen? Was ist mit den Menschen, die regelmäßig unseren auf maßlosen Konsum basierenden Müll wegräumen, was mit all jenen, die Nachtschichten für uns fahren, damit das Wirtschafts- und Sozialsystem aufrechterhalten werden kann? Was ist mit den Müttern, Vätern, Lehrern, die eine nervenzehrende Aufgabe zu vollbringen haben, in dem sie versuchen, Kinder innerhalb einer digitalen und damit immer unpersönlicheren Gemeinschaft zu verantwortungsvollen Erwachsenen heranzuziehen? Was ist mit jedem einzelnen von uns, der sich jeden Tag im Wirtschaftssystem einbringt, um seinen Beitrag zum Bruttosozialprodukt zu leisten? Sicher steht für jeden von uns auch das eigene Einkommen und der eigene Lebensstandard im Vordergrund, doch wo bleibt die starke Präsenz und das hohe Ansehen der an dieser Stelle beispielhaft genannten Menschen?
Influencer oder emotionaler Manipulator
Key Influencer, wie Blogger oder Journalisten, schreiben für ihren eigenen Blog, ein Online-Magazin oder in ihrem Social Media Profil. Das ist auch gut so, denn die Leserschaft erfährt über Neuigkeiten, Entwicklungen, Trends. Die Information sollte im Vordergrund stehen. Social Influencer tun ihre Meinungen über Produkte oder Marken kund. Sie empfehlen ihren Followern sozusagen, was gut und schlecht ist und beeinflussen deren Kaufverhalten. Peer Influencer stehen mit einem Unternehmen in Verbindung. Das können Mitarbeiter oder Geschäftspartner sein oder auch Promis, die dann als Testimonial für das Unternehmen, dessen Produkte oder Dienstleistung sprechen. Aufgrund Ihrer Bekanntheit oder ihrer Rolle als Experte beeinflussen sie, was externe Zielgruppen kaufen könnten.
Was ist diesen drei Arten von Influencern gleich? Sie beeinflussen das Verhalten anderer Menschen. Nehmen wir mal an, ein „Influencer“ würde nicht „Influencer“ genannt, sondern „Beeinflusser“! Wer von uns möchte von einem „Beeinflusser“ zum Kauf eines Autos, eines Outfits oder der Buchung einer Reise beeinflusst werden?
Wer möchte als die Schlüsselfigur eines Beeinflussers schlechthin gelten? Wer möchte ein sozialer Beeinflusser oder ein Kollegen-Beeinflusser sein? Warum ist ein Influencer ein Mensch mit hohem Ansehen, während ein Beeinflusser doch eher als emotionaler Manipulator eingestuft wird? Emotionale Manipulatoren sind Menschen, die bewusst mit den Gefühlen der Mitmenschen spielen und sie so manipulieren, dass sie eigenen Vorteil daraus ziehen. Wie steht es nun um die Influencer? Was ist deren Ziel? Letztendlich geht es Unternehmen, die Influencer im Rahmen ihres psychologischen Marketings nutzen, darum, die Verkaufszahlen hochzuschrauben. Den Influencern dürfte es wohl um Status und den daraus resultierenden Vorteilen gehen, neben Geld und Bewunderung, um noch mehr Hype um die eigene Person.
Recht auf Freiheit der Gedanken
Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes (GG) enthält zahlreiche Grundrechte, die die freie Kommunikation schützen. Das Gesetz garantiert die Freiheit, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten. Dazu zählt auch die Freiheit der Presse, die der Verbreitung von Meinungen und Informationen dient. Jedermann hat ein Recht darauf, sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ungehindert zu informieren.
In Artikel 5 GG steht nichts von der Freiheit der Beeinflussung, wonach jedermann das Recht hätte aufgrund seiner individuell subjektiven Vorlieben oder seines Strebens nach Wohlstand andere in deren Verhalten psychologisch zu beeinflussen. Wer sind wir denn, wenn wir uns auf Influencer verlassen müssen, weil wir keine eigene Meinung zur Welt und keine Entscheidungsfähigkeit mehr haben? Unsere Gedanken unterliegen dem Recht auf Freiheit. Wer will sich dann damit rühmen, die Gedanken anderer manipulativ zu beeinflussen, die sich dessen wahrscheinlich gar nicht bewusst sind?
Ich komme auf die Fähigkeit des positiven Denkens zurück. Die Zeit, in der wir leben, verändert sich dynamisch und mit ihr unsere Gesellschaft. So angenehm die Errungenschaften der Neuzeit sind, so hinterfragungswürdig sind sie. Wir sehen es aktuell an den Entwicklungen, die uns zur Corona Krise geführt haben. Social Media und Influencer, Digitalisierung und technischer Fortschritt, alles das sind Innovationen, von denen viele von uns profitieren. Jedoch sollten wir bei allem Fortschritt immer wieder überlegen, was davon wirklich für ein gesundes, glückliches Leben notwendig ist. Gerade werden wir mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert, die uns die Zeit zur Verfügung stellt, darüber nachzudenken.
Der Mensch kommt auch mit weniger zurecht! Denken wir doch positiv über eine entschleunigte Zukunft und freiheitliche Gedanken nach!